Ein Weihnachtsgeschenk: Bekenntnisse einer Polizistin

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Liebe Mitbürger, Nachbarn, Freunde und Familie, mein Name ist Jill und ich bin Polizistin.


Das bedeutet, dass die Höhen wie auch die Tiefen meines Privatlebens oft von meinem Beruf mit beeinflusst werden.

Ich bedauere diese Vermischung, verwechsle jedoch mein Dasein selbst oft genug mit meinem Job, genauso wie ihr es auch tut.

Der Stempel „Polizist“ erzeugt ein falsches Bild davon, wer ich wirklich bin. Manchmal fühle ich mich, als schwebte ich zwischen zwei Welten. Meine Arbeit besteht nicht nur daraus, Freund und Helfer zu sein. Sie stellt den Puffer zwischen der Welt dar, wie Du sie kennst und der Welt, wie sie wirklich ist.

Mein Beruf ist nicht wie im Fernsehen. Die aufregenden Momente sind unregelmäßiger und viel plastischer. Es ist keinesfalls ein tolles Gefühl, eine Waffe auf jemanden zu richten. Blutlachen haben einen ekelerregenden metallischen Geruch und dampfen leicht, wenn die Temperaturen niedrig genug sind.

Herzlungenwiederbelebung ist kein Wunder aus der Tüte, und die Rippen einer alten Frau brechen zu hören während ich verzweifelt versuche, ihr Herz am Schlagen zu halten ist überhaupt nicht lustig.

Deine Neugier bezüglich meiner Arbeit schmeichelt mir nicht und ich führe auch kein Buch darüber, was am erschreckendsten, am seltsamsten, am blutigsten oder auch nur am lustigsten war.

Ich erzähle Dir nicht viel über meinen Arbeitstag weil ich die Bilder, die mich verfolgen, nicht mit Dir teilen möchte.

Aber ich möchte ein paar Bekenntnisse machen.

Ja, manchmal ist meine Anlage zu laut aufgedreht. Andrea Bocellis Stimme macht es mir einfach leichter, den toten Körper eines jungen Mannes zu vergessen, der alleine in einem angemieteten Raum starb, weil seine Eltern fürchteten, durch sein AIDS stigmatisiert zu werden.

Beethovens Neunte löscht die Erinnerung an die Krankenschwestern aus, die unter Tränen Schicht um Schicht den Dreck und Schleim von der Haut eines vernachlässigten Zweijährigen wuschen.

Der peitschende Rhythmus der Rolling Stones bestätigt mir, dass es nur pure Ignoranz gewesen sein kann, die die junge Mutter dazu brachte, Blut zu saugen als sie ihr kleines Kind in die Wange biss um ihm beizubringen, andere nicht zu beißen.

Manchmal gebe ich ein schlechtes Vorbild ab. Ich habe die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten, weil ich Probleme hatte, vom Adrenalinschub runterzukommen, der mir durch die Adern schoss als ich feststellte, dass der Mann, dem ich während einer Drogenrazzia Handschellen anlegte, auf einer geladenen Pistole Kaliber 9mm x 19 saß.

Manchmal wirke ich unhöflich. Ich war abgelenkt und habe vergessen zu lächeln als Du mich im Laden begrüßt hast weil ich gerade an das ängstlich geflüsterte Geständnis eines Teenies denken musste, der seinen ertrinkenden Bruder von sich gestoßen hatte, um selbst überleben zu können.

Manchmal bin ich nicht so mitfühlend, wie Du es gerne hättest. Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, dass Deine fünfzehnjährige Tochter mir einem Achtzehnjährigen ausgeht, weil ich gerade versucht habe, die Eltern eines jungen Mannes zu trösten, der sich selbst die Kehle aufgeschlitzt hat, während sie im Nebenzimmer schliefen.

Ich war am Telefon kurz angebunden, weil es mich gestört hat, die Last der Entscheidung zwischen zwei Menschenleben tragen zu müssen während ich auf einen bewaffneten Mann zielte der nicht aufhörte zu betteln, ich möge ihn doch bitte erschießen.

Ich lache, wenn ich sehe wie Du vor dem Chaos im Zimmer deines halbwüchsigen Kindes zurückschreckst, weil ich den Widerwillen kenne, der mich überkommt, wenn ich fühle wie das Blut eines Heroinsüchtigen langsam an meinem Arm in Richtung einer offenen Schnittwunde läuft.

Ich war still als Du über Deine überbehütende Mutter gejammert hast, weil ich Dir wirklich gerne davon erzählt hätte, wie ich heute mit einer Schulfreundin gesprochen habe. Ich hatte ihre Mutter zusammengesackt hinter dem Lenkrad ihres Autos in einer luftdicht verschlossenen Garage gefunden. Sie hatte ihre besten Kleider angezogen, bevor sie die Autoscheiben runtergekurbelt und den Motor angelassen hatte.

Andererseits scheine ich das Blut auf meiner Uniform gar nicht wahrzunehmen, genauso wie die Schimpfwörter, mit denen ich bedacht werde oder auch die hasserfüllten Leitartikel. Das liegt daran, dass ich mich nur zu gut an das erinnere, was ich in meinem Beruf gelernt habe.

Ich habe zum Beispiel gelernt, mir keine allzu großen Gedanken über Kleinigkeiten zu machen. Traubensaft auf dem hellbraunen Sofa und ein Welpenhäufchen auf dem Orientteppich bereiten mir kein Kopfzerbrechen weil ich weiß, wie sich arterielles Blut und verwesende Leichen auf die Inneneinrichtung auswirken können.

Ich habe gelernt, wann ich die Welt Welt sein lassen und mir aus Rücksicht auf mein geistiges Wohl eine Auszeit nehmen muss.

Ich habe den vierten Geburtstag Deiner Tochter sausen gelassen, weil ich über die sechs Kinder unter zehn Jahren nachdenken musste, deren Mutter sie unbeaufsichtigt zu Hause gelassen hatte, um mit einer Freundin auszugehen.

Als die Dreijährige dem Hund Milch aus ihrem Cornflakes-Schüsselchen anbieten wollte, griff der sie an und zerfleischte ihr den Kopf, so dass der Sandkasten blutgetränkt war. Die Geschwister des kleinen Mädchens mussten dem Hund den Kopf aus den Fängen reißen – zweimal!

Ich habe gelernt, dass ich von jedem etwas lernen kann.

Zwei Mütter in einem Fürsorgestreit lehrten mich, niemanden nur nach seinem Äußeren zu beurteilen.

Die minderjährige Mutter, die von Sozialleistungen lebte schaffte es, nicht vor ihrem verängstigten Kind zu weinen, während die gut angezogene Mutter aus der sozialen Oberschicht ein regelrechtes Tauziehen veranstaltete, bevor sie mit dem schreienden Kind auf dem Arm mitten in den fließenden Verkehr lief.

Ich habe gelernt, dass nichts, was von Herzen gegeben wurde, wirklich verloren ist. Eine Umarmung, ein Lächeln, ein paar mutmachende Worte oder auch nur ein aufmerksames Zuhören kann eine verletzte oder verzweifelte Person wieder zurück in die Realität bringen und hilft mir selbst, mich wieder zu fokussieren.

Und ich habe gelernt, nicht aufzugeben. Nie.

Dieser Sekundenbruchteil des Schreckens wenn ich glaube, dass ich schlussendlich doch auf denjenigen gestoßen bin, der jung und stark genug ist, mich zu überwältigen, hat mir gezeigt, dass es für mich nur eine Beschränkung gibt: meine eigene Sterblichkeit.

Eine Woche im Mai wurde als „Police Memorial Week“ festgelegt, eine Zeit, während der man der Polizisten gedenkt, die es nach Schichtende nicht mehr nach Hause geschafft haben.
Aber worauf warten? Nimm Dir einen Moment Zeit, einem Polizisten zu sagen, dass Du seine Arbeit wertschätzt.

Lächle und sage freundlich „Hallo“, wenn er sich mal einen Kaffee holt. Beiß Dir auf die Zunge, wenn Du im Restaurant eine Geschichte über die „böse Polizei“ erzählen willst.

Noch besser wäre es, wenn Du eine Geschichte über eine gute Erfahrung mit der Polizei reden würdest. Die Familie am Nachbartisch könnte eine Polizistenfamilie sein.

Nichts, das von Herzen gegeben wurde, ist wirklich verloren. Es wird in den Herzen derer aufbewahrt, die es empfangen haben. Es ist Weihnachten. Gib von Herzen. Gib den Polizisten ein bisschen was zurück dafür, dass sie ihr Leben tagtäglich für alle riskieren.

Jill Wragg ist pensionierte Polizistin.
Sie kann erreicht werden unter JKWragg@yahoo.com
Ins Deutsche von Benjamin Lehnert.

 Yarmouth Police Department 
Chief Frank Frederickson
Steven Xiarhos

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